Der KI-Boom 2025 setzt dort an, wo 2024 Schluss war: Mit noch mehr Tempo – und noch weniger Regulierung.
Nach dem vorgestern das gigantische „Project Stargate¹“, ein Zusammenschluss mehrerer Tech-Unternehmen, welches in den kommenden vier Jahren über 500 Milliarden US-Dollar (Fun Fact 163 von 195 Staaten haben ein kleineres BIP²) in die US-KI-Infrastruktur investieren will, hat Ex-Präsident Trump jüngst die von Biden geplanten KI-Sicherheitsvorkehrungen zurückgerollt³. Ursprünglich sollten diese KI-Regulierungen Mitarbeitende und Verbraucher:innen vor möglichen Folgen des schnellen KI-Wachstums schützen⁴.
Und als wäre das nicht aufregend genug, präsentierte OpenAI gestern "Operator⁵" – einen KI-Agenten, der selbstständig im Web navigiert und Aufgaben ausführt. Ich habe bereits im Oktober über die „Ära der KI-Agenten⁶“ geschrieben, dabei aber einen entscheidenden Aspekt nicht erwähnt: die wachsende Gefahr für unsere Privatsphäre.
What did it cost? Nothing - except our Privacy!
In den letzten zwei Jahren habe ich in diversen Workshops und Vorträgen Unternehmen in Vorarlberg besucht und dabei die ganze Bandbreite an KI-Richtlinien kennengelernt – von „nicht vorhanden, wir machen einfach" bis hin zu „Siri und Co. müssen in Meetings ausgeschaltet werden“. Doch während Unternehmen noch über Richtlinien streiten, ist die Zukunft der Privatsphäre längst entschieden – sie beginnt nicht mit Zwang, sondern mit Bequemlichkeit.
Je leistungsfähiger und allgegenwärtiger diese Systeme werden, desto schwieriger wird es, sich ihnen zu entziehen. Die Botschaft lautet: „Wer von den Vorteilen der neuesten KI-Technologien profitieren will, muss weniger streng mit seiner Privatsphäre sein. Wir versprechen, sie nicht zu missbrauchen.“⁷ 😉
Technologieunternehmen perfektionieren diesen Ansatz. OpenAI hat kürzlich einen neuen Weg eröffnet, um ChatGPT nahtlos in unseren Alltag zu integrieren: Über WhatsApp kann man jetzt direkt ChatGPT kontaktieren⁸ – schnell, kostenlos und ohne Barrieren (+1 (800) 242-8478 - einfach selbst ausprobieren). Selbst Nutzer:innen eines alten Drehscheibentelefons⁸ könnten nun sogar auf die KI zugreifen. Die Tech-Giganten arbeiten also mit Hochdruck daran, ihre Dienste so nahtlos wie möglich in unseren Alltag zu integrieren.
Es ist eine schleichende Entwicklung, ähnlich wie bei den Smartphones: Was einst optional war, ist heute praktisch unverzichtbar für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Man denke nur daran, wie essenziell ein Smartphone heute für Banking, Arzttermine oder den Behördenkontakt ist.
Die Masse tauscht dabei, wie schon so oft, Privatsphäre gegen Komfort – ein Muster, das sich durch die gesamte digitale Transformation zieht. Sobald diese Technologien von der Mehrheit akzeptiert sind, werden sie auch in grundlegende (behördliche) Prozesse integriert. Als Ausblick wird oft der Vergleich zu WeChat⁹ in China herangezogen. Dort ist die App längst nicht nur ein Messenger, sondern nahezu die gesamte Infrastruktur für Kommunikation, Zahlungsverkehr, Behördengänge und Shopping in einem. Wer WeChat nicht hat, ist vom öffentlichen und wirtschaftlichen Leben praktisch ausgeschlossen. Nicht ohne Grund plante auch Elon Musk, X in eine solche "Everything App" zu verwandeln¹⁰.
In der Summe bedeutet das: KI-Anbieter rücken näher an die Menschen heran und schaffen damit Lock-in-Effekte – das Abschalten oder Nicht-Mitmachen fällt umso schwerer, je mehr Services auf diesem System laufen. Und damit auch die Menge an Daten die diese Unternehmen über uns sammeln.
"Ich habe eh nichts zu verstecken, sollen sie doch meine Daten haben."
Wer sich das schon einmal gedacht hat, übersieht leicht was im Kern von Surveillance Capitalism¹¹ geschieht: Eine neue Form des Kapitalismus, in der alle Aspekte des menschlichen Lebens – von scheinbar harmlosen Standortdaten und Suchverläufen bis hin zu psychologischen Profilen – alles wird erfasst, analysiert und monetarisiert. Reflektiert einmal eure eigenen Interaktionen mit ChatGPT & Co. Wir teilen vertrauliche Geschäftsdaten, lassen persönliche E-Mails optimieren oder bitten um Beziehungsratschläge. All diese intimen Details landen auf den Servern der Tech-Giganten. Und jetzt, mit KI-Agenten wie Operator (oder Computer Use von Anthropic¹²), die direkten Zugriff auf unsere Rechner erhalten, öffnen wir ihnen Tür und Tor zu noch mehr persönlichen Informationen.
Der Surveillance Capitalism strebt danach, Menschen nicht nur zu verstehen, sondern auch ihr Verhalten vorherzusagen und zu beeinflussen¹¹. Algorithmen analysieren nicht nur, was wir tun, sondern auch, wie wir uns fühlen, um uns gezielt in eine gewünschte Richtung zu lenken. Sobald Daten unkontrolliert gesammelt und analysiert werden, können sie nicht nur für kommerzielle Zwecke genutzt, sondern auch politisch instrumentalisiert werden. Der Fall Cambridge Analytica zeigt eindrücklich, wie solche Daten auch politisch instrumentalisiert werden können: Das Unternehmen nutzte die Facebook-Daten von Millionen Menschen, um durch gezielte Desinformation sowohl die Brexit-Abstimmung¹³ als auch die US-Präsidentschaftswahl 2016¹³ zu beeinflussen. Durch präzise psychologische Profile konnten sie genau bestimmen, wer für welche Art von Falschinformationen besonders empfänglich war.
Wir werden also durch den Komfort und die Bequemlichkeit, die uns die Nutzung dieser Dienste bietet, immer stärker in die Falle dieser Systeme gelockt und unsere Daten werden immer mehr und besser ausgewertet. Dieser Prozess verändert die Art und Weise wie wir als Gesellschaft interagieren, wie wir unsere Informationen aufnehmen und gibt diesen Tech-Unternehmen eine nie dagewesene Macht.
Ein prägnantes Beispiel¹¹ ist Pokémon Go. Während es als harmloses Spiel beworben wurde, erlaubte es dem Betreiber (eine Tochterfirma von Googles Mutterkonzern Alphabet) mittels Kamera- und GPS-Zugriff, Orte auszuwerten, zu denen Street-View-Autos bisher keinen Zutritt hatten – etwa private Gärten oder Innenräume von Geschäften. Gerade die Verknüpfung von Standort-, Bewegungs- und Interaktionsdaten zeigt, wie spielerische Anwendungen im Hintergrund zum perfekten Werkzeug für noch tiefergehendes Profiling werden.
The future is local!
Doch es gibt Alternativen zu diesem datengetriebenen Ökosystem. Wer nicht jede Eingabe den Servern der Tech-Giganten anvertrauen möchte und dieses "überwachunsorientiertes" System fördern will, hat durchaus Optionen.
Eine dieser Alternativen sind lokale KI-Modelle. Der Vorteil liegt auf der Hand: Die Verarbeitung unserer Daten findet nicht auf den Servern von diesen Tech-Giganten statt, sondern direkt auf unseren eigenen Geräten. Das bedeutet, dass unsere persönlichen Informationen nicht an Dritte weitergegeben werden und wir die volle Kontrolle über unsere Daten behalten. (Wir haben in Vorarlberg hier auch einen Profi für diese Implementierungen. Marco Moosbrugger, ein geschätzter Kollege von mir, hilft hier gerne weiter.)
Der noch relativ unbekannte Anbieter DeepSeek sorgt hier aktuell für Schlagzeilen: Das Modell R1 soll nach eigenen Angaben¹⁴ auf Augenhöhe mit OpenAIs Flaggschiff o1 agieren – sowohl bei komplexen Mathe- als auch Coding-Aufgaben (Tipp: Unbedingt ausprobieren, die "DeepThink"-Funktion ist wirklich interessant, mehr dazu in einem anderen Beitrag).
Klar, das erfordert eine Menge Rechenleistung und Speicherplatz, ist aber dank neuer Hardware-Trends immer weniger ein Ausschlusskriterium. Nvidia hat beispielsweise vor Kurzem auf der CES 2025 mit Project Digits¹⁵ ein „persönliches KI-Supercomputer“-System vorgestellt, das für rund 3.000 Dollar auf dem eigenen Schreibtisch stehen kann. Was noch vor wenigen Jahren nur in großen Rechenzentren möglich war, rückt damit in greifbare Nähe für kleinere Firmen, Forschungslabore oder sogar ambitionierte Privatleute.
Um mit einer meiner Lieblingsstimmen aus der KI-Welt zu schließen: Wie genau sich unsere digitale Zukunft entwickeln wird, können wir nicht vorhersagen. Eine Entwicklung scheint jedoch sicher: Gradually – then suddenly.¹⁶
Quellen:
¹ https://openai.com/index/announcing-the-stargate-project/
²https://www.imf.org/en/Publications/WEO/weo-database/2024/October
⁵https://openai.com/index/introducing-operator/
⁶https://www.visavimitki.at/p/die-ara-der-ki-agenten
⁸
¹⁰https://www.theverge.com/23940924/elon-musk-x-twitter-all-hands-linda-yaccarino-super-app
¹¹Zuboff, S. (2019). The age of surveillance capitalism: The fight for a human future at the new frontier of power. Profile books.
¹²https://www.anthropic.com/news/3-5-models-and-computer-use
¹³Howard, P., Ganesh, B., & Liotsiou, D. (2018). The IRA, Social Media and Political Polarizationin the United States, 2012-2018. Oxford Internet Institute. https://www.oii.ox.ac.uk/news-events/reports/the-ira-social-media-and-political-polarization-in-the-united-states-2012-2018/
¹³ICO. (2018). Investigation into the use of data analytics in political campaigns: A report to Parliament. : UK Information Commissioner’s Office. https://ico.org.uk/media/action-weve-taken/2260271/investigation-into-the-use-of-data-analytics-in-political-campaigns-final-20181105.pdf
¹⁴https://www.deepseek.com
¹⁵https://www.nvidia.com/en-us/project-digits/
¹⁶